Buchbesprechungen


Die fremde Gestalt – Gespräche über den unbequemen Jesus

 

Hermann Glettler und Michael Lehofer

 

Styria Verlag 2018; ISBN 978-3-222-13587-3



Iso Baumer, Die Mönche von Tibhirine – Die algerischen Glaubenszeugen – Hintergründe und Hoffnungen


Zum Inhalt:

Hermann Glettler – geboren 1965, Bischof von Innsbruck, Theologe und Künstler – diskutiert mit Michael Lehofer – geboren 1956, Universitätsprofessor für Psychiatrie, klinische Psychologie, Primar und ärztlicher Direktor des Landeskrankenhauses Graz Süd-West – diskutieren über 24 Evangelientexte im neuen Testament, die uns einerseits berühren und doch befremdlich oder gar aufregend oder sogar provokant erscheinen. Die Gespräche eröffnen uns einen neuen Blick auf Jesus und die Relevanz seiner Botschaft für uns heute, denn Jesus ist nicht nur „der liebe Jesus“ unseres kindlichen Glaubens, er verunsichert, stößt an, provoziert und ist in seinen Aussagen für uns oft sperrig und fremd.

Ein Beispiel aus Nummer 15, Das Gesetz brechen (Mt 12,7-14):

Die 10 Gebote dienen der Ermöglichung von Leben in Freiheit und Frieden, sie haben keinen Selbstzweck. „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!“ So bezieht sich nur die Angst auf den Buchstaben von Gesetzen und Verordnungen.

Ein Beispiel aus Nummer 20, Zugemutete Freiheit (Joh 6,60-69):

Freiheit ist Menschenwürde. Jesus mutet uns radikale Freiheit zu und befreit zur Freiheit. So frägt er auch seine Jünger: „Wollt auch ihr weggehen?“ Er riskiert die Freiheit jedes einzelnen Menschen zu einem ehrlichen JA oder NEIN.

Ein Beispiel aus Nummer 24, Der Traum vom Reich (Lk 17,20-24):

Jesus sagt den Pharisäern, „das Reich ist mitten unter euch“. Das Reich Gottes ist jetzt schon da, es ist kein Ereignis in unfassbarer Zukunft. So kann uns die Taufformel „ich widersage und ich glaube“ mitteilen, dass wir jetzt schon im Reich Gottes nicht mehr Umherirrende und von einem blinden Schicksal Getriebene sind. Wir haben als Menschen eine Herkunft und Zukunft. Diese Gewissheit ist ein riesiger Schatz inmitten einer nervösen Gesellschaft, die sich allzu leicht in die Unruhe infolge propagierter Katastrophen treiben lässt. Gelassenheit ist die Grundtugend des Christen!

 

Sehr lesens- und betrachtenswert! Gelesen von Dr. Ernst Ammann / August 2019


Baumer Iso: Buchbeschreibung (Dr. Ernst Ammann / 25.03.2018)

 

Iso Baumer, Die Mönche von Tibhirine

Die algerischen Glaubenszeugen – Hintergründe und Hoffnungen

 

 

Verlag Neue Stadt, München, 2010; ISBN 978-3-87996-611-1; 119 Seiten, € 14,20

 

Der Autor Iso Baumer, Jahrgang 1929, studierte Romanistik, Volkskunde und Philosophie. Lehrtätigkeit in Bern und von 1988 bis 1999 für Ostkirchenkunde an der Universität Fribourg / Schweiz. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Vorgängen in Algerien.

 

Film von Xavier Beauvois „Von Menschen und Göttern“

Dieser Film hat die 7 ermordeten Trappistenmönche von Tibhirine / Algerien bekannt gemacht.

Er behandelt ein hochaktuelles Thema, in dem es um eine Neubesinnung im Verhältnis von Christen und Muslimen geht.

 

Das Land Algerien

Algerien gehört zum Maghreb, dies sind die islamischen Länder Nordafrikas westlich von Ägypten.

 

Die Bevölkerung wächst gewaltig:

in Millionen

davon Katholiken

1957

9,3

930.000

1964

12,3

75.000

1988

23,8

43.000

1998

30,1

2.600

2016

40,4

≈ 3.000?

 

Kurz zur Geschichte

Die Mutter des hl. Augustins war Berberin und der Vater Römer, Charles de Foucauld lebte mit den Tuareg im Hoggar und wurde ermordet. Die einheimische Bevölkerung stemmte sich gegen die aufgezwungene Verwaltung und Zivilisation des Westens.

Die kolonial-französischen Christen gingen mit wenig christlicher Feindesliebe gegen muslimische Berber vor, 1962 erhielt Algerien ziemlich unvorbereitet dafür seine Unabhängigkeit.

Die Rache gegen alles Fremde war eigentlich absehbar. Trotzdem verblieben einige Fremde im Land, darunter die 7 Trappisten im Kloster Tibhirine.

 

Die Opfer des islamischen Terrors in Algerien

Bis zur Unabhängigkeit von Frankreich 1962 waren über 300.000 Algerier gefallen und auf französischer Seite gab es 20.000 Tote. Darunter waren etwa 150.000 muslimische Algerier; etwa 150 Ausländer, weil sie Fremde waren. So zum Beispiel kroatische Gastarbeiter aus Rache für im Balkankrieg getötete Muslime. Aufgrund ihres Glaubens kamen 19 Christen ums Leben, darunter 4 Familienväter, 6 Ordensschwestern, 3 Mönche und 5 Priester, davon der Bischof von Oran und sein muslimischer Fahrer und Gehilfe.

Am 21. Mai 1996 wurden die 7 Trappisten aus dem Kloster Tibhirine ermordet aufgefunden.

Am 1. August 1996 wurde der Bischof von Oran, Pierre Claverie (58 Jahre alt, Dominikaner), und sein muslimischer Gehilfe Mohamed Bouschiki (erst 22 Jahre alt) ermordet.

 

Das "TESTAMENT" von MOHAMED BOUSCHIKI

Nach seinem Tod fand man sein Notizbuch. Folgende Aufzeichnung hatte er unter anderem gemacht:

„Im Namen Gottes, des Gütigen, des Barmherzigen. Bevor ich meinen Federhalter in die Hand nehme, sage ich euch: „Der Friede sei mit euch.“ Ich danke dem, der mein Erinnerungsheft lesen wird, und ich sage jedem von denen, die ich in meinem Leben kennengelernt habe, dass ich ihnen danke. Ich sage, sie werden von Gott am Jüngsten Tag belohnt werden. Ich sage Gott, der mir verzeihen wird, am Tag des Gerichts, und dem, dem ich vielleicht einmal weh getan habe, er möge mir verzeihen. Ich bitte den, der vielleicht aus meinem Mund ein böses Wort gehört hat, um Verzeihung, und ich bitte alle meine Freunde, mir zu verzeihen um meiner Jugend willen. Aber an diesem Tag, da ich euch schreibe, erinnere ich mich auch an das, was ich Gutes getan habe in meinem Leben. Möge Gott es in seiner Allmacht fügen, dass ich ihm ergeben sei, und dass er mir seine Barmherzigkeit erweise.“

 

Aus einem wichtigen Dokument von Bischof PIERRE CLAVERIE (1996)

... Ich habe mir die Frage gestellt, warum ich während meiner ganzen Kindheit, als Christ – nicht besser als die anderen – als Kirchgänger – wie die anderen auch – als Hörer von Predigten über die Nächstenliebe, nie gehört habe, dass der Araber mein Nächster sei. Vielleicht hat man es mir gesagt, aber ich habe es nicht gehört! ... Darum habe ich nach der Unabhängigkeit (1992) darum gebeten, nach Algerien zurück kehren zu dürfen, um jene Welt wieder neu zu entdecken, in der ich geboren war. ... Wenn man aber ganz in der Welt des Maghreb lebt, in einem bodenständigen Islam, in dem noch vorislamische Handlungsweisen, Ideen und Begriffe fortleben, erfährt man in diesem Islam eine gastfreundliche und friedliche Gesellschaft. Gleichzeitig hat aber der orthodoxe Islam diese tief menschlichen und geistlichen Werte dem Volk genommen und in politische Faktoren mit Gewalt verwandelt – aber sich religiös gerechtfertigt: ... nun müssen wir die Kehlen durchschneiden, das ist das Gericht Gottes, das ist das Gesetz Gottes. ...

In der katholischen Kirche haben wir im Laufe der Zeit die traurige Erfahrung gemacht – die Wahrheit zu besitzen oder im Namen der Menschheit zu reden, so verfielen wir in einen Totalitarismus und in einen Ausschluss. Es gibt gewiss objektive Wahrheiten, aber diese überragen uns alle; niemand besitzt die Wahrheit, jeder sucht sie! ... Ich bin ein glaubender Mensch, ich glaube, dass es einen Gott gibt, aber ich beanspruche nicht, diesen Gott zu besitzen, weder durch Jesus, der ihn mir offenbart, noch durch die Dogmen meines Glaubens. Man besitzt Gott nicht. Man besitzt die Wahrheit nicht, und ich brauche die Wahrheiten der anderen. Das ist meine Erfahrung.

 

LUC DOCHIER

Bruder Luc (1914-1996, ursprünglich Militärarzt, Trappist) schreibt in sein Tagebuch im Juli 1994: … Aber wir harren aus. Angst ist Mangel an Glauben. Der Glaube wandelt die Angst in Vertrauen. Wovor könnten wir Angst haben? Wir wissen, auf wen wir zugehen, auf den hin, der Liebe und Barmherzigkeit ist. Wir werden aufgrund unserer Liebe beurteilt. …

Und am 28. Mai 1995: ... Weil der Tod Begegnung mit Gott ist, kann er keine Schrecken auslösen. Der Tod, das ist Gott.

 

Dem Islam begegnen: Vom engen Zusammenhang zwischen Religion und Gesellschaft her haben Muslime große Mühe, das Verhalten der Europäer in dieser leidvollen Vergangenheit und Gegenwart nicht pauschal für „christlich“ zu halten, während wir hierzulande schon längst feststellen müssen, dass Europa eigentlich entchristlicht ist, und die Kirchen und ihre Gläubigen sich auf dem Rückzug befinden.

Bei aller Sympathie für die energischen Vertreter der Gewaltlosigkeit und des Friedens (= Pazifisten) glaube ich nicht, dass Gewaltlosigkeit ein taugliches Instrument für einen Frieden auf dieser Erde ist. Denn bei allen Einwänden gegen einen gerechten Krieg habe ich das Recht – sogar die Pflicht – der Selbstverteidigung, wenn Frauen, Kinder, Nachbarn von Angreifern bedroht werden. Allerdings dürfen Kirchen nie zu Gewalt greifen, weder zu physischer noch zu psychischer. Die Analogie zu den Kreuzzügen und zum Kolonialismus finden wir im „Islamismus“ – dem politischen Islam – der einen Raum in Besitz nehmen will, ohne jemand anderen darauf zu dulden. Die Christen müssen wieder eine menschliche Qualität entwickeln, die nicht auf uns aufmerksam macht, sondern auf den, den wir bezeugen: Die arme Dreifaltigkeit (Gott schenkt sich her), den armen Christus (der sich in seine Sendung hineingibt und dafür stirbt) und von der armen Kirche (die sich entleeren muss, um für die Gnadengabe bereit zu sein) – so der Schweizer Priester Maurice Zundel (1897-1975) gemäß des Briefes an die Philipper 2,5-11: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Jesus Christus entspricht: ... Jesus Christus ist der Herr – zur Ehre Gottes des Vaters.“

 

CHRISTIAN DE CHERGÉ

Prior Christian de Chergé (am 21. Mai 1996 im Alter von 63 Jahren ermordet aufgefunden) schrieb am 1. Januar 1994:

„... Und du auch, Freund der letzten Minute, der du weißt, was du tust. Ja, auch für dich will ich dieses DANKE sagen und dieses >Zu-Gott-hin< annehmen, das du für mich ins Auge gefasst hast. Möge es uns geschenkt sein, dass wir beiden Schächer uns im Paradies wiederfinden, wenn es Gott so recht ist, unserem gemeinsamen Vater. Amen! Insch’Allâh!“

Das „insch’allâh“ heißt „Gott gebe es, wenn Gott will“ – im Alltagsarabischen wird es für „vielleicht“ gebraucht.

Die christliche Feindesliebe als Höchstform der Nächstenliebe ist hier wohl in reinster Form verwirklicht, der Feind heißt nicht einmal so, sondern Freund –„Freund der letzten Minute“, er wird als Mit-Schächer bezeichnet, denn Jesus hat dem reumütigen Schächer versprochen: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“.

 

Mit einem Wort von Michel de Certeau endet das Buch:

„Ein Leben ist nicht dazu da, einen Ertrag abzuwerfen und im Tresor einer Bank gelagert zu werden, sondern im Gegenteil dazu, riskiert, hingegeben, verloren und gleichzeitig in Dienst gestellt zu werden“

 

 

Ein bemerkenswertes und lesenswertes Buch!