Die Glocken von St. Urban und Silvester, Unterreitnau


In der Pfarrkirche Unterreitnau sind insgesamt fünf Glocken vorhanden. Die drei größeren befinden sich in der Glockenstube des nördlich an den Chor anschließenden Kirchenturms. Die Läuterichtung dieser Glocken ist Ost-West längs des Kirchenschiffes. Der schöne historische Holzglockenstuhl ist eingeschossig und dreifeldrig. Eine weitere Glocke befindet sich in der Laterne der Turmkuppel und dient dem Stundenschlag der Turmuhr. Daneben besitzt auch der Dachreiter über der nördlich angebauten Josefskapelle eine kleine Glocke, die insbesondere bei Taufen bzw. Beerdigungen geläutet wird.

 

Die drei großen historischen Glocken stellen ein Ensemble von hohem Denkmalswert dar.

 



Die Glocke 1 wurde im Jahre 1515 in Biberach gegossen, als Auftraggeber gilt der damalige Abt Philipp vom Kloster Isny. Auf der Flanke ist die Muttergottes im Strahlenkranz dargestellt. In schönen Schmuckmajuskeln ist in Latein folgende Inschrift abgebildet: „Maria, Mutter der Gnade, Mutter der Barmherzigkeit, du unser Schutz vor Feinden, in der Stunde des Todes nimm uns an. Maria, Jungfrau der Jungfrauen, erlange uns den Nachlass der Sünden, versöhne uns mit deinem Sohne“. Ein weiteres Relief stellt den Hl. Theodul dar; dieser Heilige war auch der Schutzpatron der Biberacher Gießhütte. Nach der Legende bekam der hl. Theodul vom Papst zu Rom eine Glocke zum Geschenk. Unvermögend, durch menschliche Hilfe die Glocke fortzubringen, habe er den Teufel, den er aus einem Besessenen ausgetrieben hatte, gezwungen, das Geschenk über die Alpen zu tragen – deshalb die Darstellung, wie er einen Teufel mit einer Glocke auf dem Kopf an der Seite hat oder ihn an einer Kette führt. + ANNO DOMINI MCCCCCXV +. Durchmesser: 146 cm, Gewicht: 1.920 kg,.

 



Die Glocke 2 wurde 1439 von einem unbekannten Gießer geschaffen. Das Klangbild dieser Glocke ist wahrlich archaisch – doch gerade dies adelt sie in besonderer Weise. Die Kronenhenkel zieren bärtige Männerköpfe. Zwischen einem Zinnenfries oben und einem rundbogenen Fries unten, welches Kleeblätter und Lilien aufweist, befindet sich folgende Inschrift: + Ivcas marcvs matevs iohannes + o rex + glorie feni + cum paci + (O König der Herrlichkeit, komme mit Frieden). + ANNO DOMINI + MCCCC + XXXVIIIIi. Durchmesser 101 cm, Gewicht 658 kg.

 



Die Glocke 3 ist die älteste des Ensembles und wurde zwischen 1300 und 1350 gegossen. Auch wenn sie unbezeichnet ist, kann ihre Entstehung jener Ära zugeordnet werden, als Augsburg das Zentrum der Glockengießerkunst war. Die mit der Schulterinschrift des Evangelisten „LVCAS“ beginnende Inschrift zeichnet diese Evangelistenglocke als Wetterglocke aus. Neben dem Evangelisten Lukas waren zu dieser Zeit außerdem Inschriften mit weihnachtlichem Inhalt, das „O REX GLORIAE VENI CUM PACE“ und auch die Heiligen Drei Könige wirksame Helfer gegen Unwetter, Gefahren und Bedrohungen. Im Jahre 2006 wurde der Schlagring dieser Glocke durch aufschweißen der ausgeschlagenen Stellen in der Firma Lachenmeyer, Nördlingen restauriert und danach samt einem neuen und entsprechend dimensionierten Klöppel mittels einem Autokran wieder in den Kirchturm gehievt. Durchmesser 78,5 cm, Gewicht 300 kg.

 



Die in der Turmkuppel hängende Glocke 4 wurde im Jahr 1663 von dem Lindauer Gießer Theodosius Ernst I gegossen, hat 54 cm Durchmesser und wiegt ca. 90 kg.

 

Die im Dachreiter der Josefskapelle befindliche Glocke 5 stammt von der Gießerei Kuhn-Wolfart, Lauingen und wurde um 1950 gegossen. Die hier ursprünglich vorhandene Glocke aus dem Gußjahr 1692 musste 1942 abgenommen und für Kriegszwecke abgeliefert werden. Die anderen Glocken wurden bereits damals vom Landesamt für Denkmalpflege als „außerordentlich künstlerisch und historisch wertvoll“ eingestuft und blieben daher vor ihrer Einschmelzung für die Waffenindustrie verschont.

 


Alle Glocken besitzen Normalklöppel und ältere Stahljoche. Sie werden durch ca. 70 Jahre alte Läutemaschinen des Fabrikats Hörz mit elektromechanischer Steuerung (sog. Ölbadsteuerung) angetrieben.

 

Bleibt zu hoffen, dass sich auch künftig noch Viele durch die Kirchenglocken zur Gottesdienstfeier einladen lassen und das Geläut aus unüberhörbares Zeichen unseres christlichen Glaubens erhalten bleibt.

 

Verfasser: Lothar Müller

Bildmaterial von Hubert Hieronymus, Wertach